Die Unmöglichkeit der Altersvorsorge

01.11.2017 - Stefan Erlich - 1 Kommentar

Die Unmöglichkeit der Altersvorsorge

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Heute vor genau 6 Wochen bin ich Vater eines gesunden und putzmunteren Jungen geworden. Der kleine entwickelt sich prächtig und macht uns viel Freude, auch wenn an durchgängigen Schlaf nun nicht mehr zu denken ist. Neben der Lebensumstellung brachte die Geburt für mich auch neue Gedanken und Fragen. Wie und wie viel sollen wir für ihn sparen? Welche Anlageklassen und Finanzprodukte kommen in Frage? Welchen Anlagehorizont haben wir? Fragen, auf die ein Finanzredakteur eigentlich klare Antworten haben sollte. Leider sieht die Praxis nicht ganz so eindeutig aus. In dem Kontext diskutieren meine Frau und ich auch die Frage nach unserer eigenen Altersvorsorge. Welchen Lebensstandard wollen wir im Alter halten? Müssen wir damit rechnen, für die eigene Pflege zahlen zu müssen und was bedeutet das Ganze für den zu sparenden Betrag?

Das deutsche Rentensystem ist ein großes Missverständnis

Es sind Fragen, die sich jeder irgendwann stellen dürfte oder sollte, schließlich bekommen wir seit Jahren eingetrichtert, dass die Rente für das Gros der Deutschen nicht reichen wird. Dabei ist für die meisten völlig unklar, wie groß die Rentenlücke, also der Unterschied zwischen der tatsächlich erzielten Rente und dem zur Beibehaltung des Lebensstandards notwendigen Einkommens, sein wird. Ich erhalte in regelmäßigen Abständen einen Brief der Deutschen Rentenversicherung, die mir darin mitteilt, wie viel ich voraussichtlich zu meinem Renteneintritt bekommen werde. Was viele nicht wissen: Dieser Betrag ist ungefähr so aussagekräftig wie eine Prognose des Wetters für den 03.07.2050! Die Gründe für die Ungenauigkeit sind vielfältig, liegen aber vor allem in der Funktionsweise unseres Rentensystems und den vielen Modellannahmen begründet.

Die Rentenbescheide suggerieren, dass man für seine Einzahlungen in die Rentenversicherung irgendwann einen ähnlichen Gegenwert zurückerhalten wird, schließlich hat man ja über Jahre eingezahlt! Doch das deutsche Rentensystem ist kein Sparschwein, in das man einzahlt und das man am Ende seines Arbeitslebens wieder schlachtet. Vereinfacht gesprochen geht heute alles, was in die Rentenkasse eingezahlt wird, sofort wieder in Form von Rentenzahlungen an die heutigen Rentner raus. Es wird nichts angespart, sodass für meine eigene Rente irrelevant ist, wie viel ich heute einzahle. Entscheidend ist, wie viel ab 2050 in die Rentenkasse eingezahlt wird, denn dann fließt (hoffentlich) das Geld der Einzahlenden an mich als Leistungsempfänger. Wie hoch aber die Einzahlungen in 2050 ausfallen werden, darüber kann man nur Prognosen anstellen. Dass Prognosen für in 33 Jahren aber relativ sinnfrei sind, muss ich Ihnen an dieser Stelle sicher nicht erklären.

Nun ist meine obige Aussage, dass meine heutigen Einzahlungen nichts mit meiner zukünftigen Rente zu tun haben, nicht ganz korrekt, denn man versucht durchaus, die künftigen Auszahlungen an den heutigen Beiträgen auszurichten. Dies funktioniert allerdings nur relativ gesehen zur insgesamt erfolgten Leistung aller Beitragszahler. Vereinfacht gesprochen soll dann gelten: “Wer viel einzahlt, bekommt auch viel!”. Was genau “viel” allerdings konkret heißt (bzw. In meinem Fall als Selbständiger eher “wenig”), werde ich persönlich erst 2050 erfahren. Dazu kommt, dass Renten langfristig zu 100 % besteuert werden sollen, der Anteil geringfügig Beschäftigter stetig steigt (und damit die Rentenversicherungsbeiträge sinken) und wichtige Komponenten wie die Inflation, der Anteil der Arbeitslosen und die allgemeine Lohnentwicklung nicht prognostizierbar sind. Die ungünstige demografische Entwicklung macht die Sache da nicht einfacher.

Das Schreckgespenst in konkreten Beträgen

Wenn man sich ernsthaft über die eigene Altersvorsorge Gedanken macht, kommt man zwangsläufig irgendwann zu der Erkenntnis, dass man sich auf das deutsche Rentensystem nicht verlassen kann. Der ein oder andere mag nun einwenden, dass der Staat mit Steuergeldern schon einspringen wird, schließlich steigt der Zuschuss des Bundes ohnehin seit Jahren, weil sich die heutigen Rentenversprechen sonst nicht halten ließen. Doch will man sich wirklich auf den Staat verlassen? Dieser kann nur das ausgeben, was er von uns (!) an Steuern einnimmt und darüber hinaus an Schulden aufnimmt. Beide Quellen sind begrenzt. Bleibt als logische Schlussfolgerung nur die private Altersvorsorge, wie sie von der Politik seit Jahren verstärkt gefordert wird. Dabei stellen sich zwei zentrale Fragen: Welchen Betrag brauche ich und wie lege ich das Geld richtig an?

Das durchschnittliche Netto-Einkommen der Deutschen liegt irgendwo um die 2.100 €. Rechnen wir optimistisch mit einem Renteneintritt im Alter von 65 Jahren und einer restlichen Lebenserwartung von großzügig 30 Jahren (um mögliche Zusatzkosten für Pflege und Krankheit zu berücksichtigen), so ergibt sich ein Kapitalbedarf in Höhe von 2.100 € x 12 Monate x 30 Jahre = 756.000 €. Wenn Ihnen an dieser Stelle nicht die Kinnlade heruntergeklappt ist, beglückwünsche ich Sie zu Ihrer realistischen Einschätzung der vor uns liegenden Herausforderung. Um diesen Betrag über eine volle Arbeitnehmerkarriere von 40 Jahren anzusparen, müsste man nach Steuern jeden Monat etwa 1.575 € zur Seite legen - jeden Monat! So mancher würde sich freuen, ein solches Netto-Einkommen zu beziehen.

Nun kann man hin- und her argumentieren, dass diese Rechnung unsinnig ist, weil aus der gesetzlichen Rentenversicherung durchaus noch ein gewisser Beitrag zu erwarten ist, sich das Kapital aufgrund von Zinsen vermehren wird und man im Alter ja auch nicht mehr so viel braucht. Diese Argumente sind zum Teil sicherlich valide, ändern aber nichts an der Kernaussage, dass wir bei der Altersvorsorge aufgrund unserer hohen Lebenserwartung über Beträge reden, die für den Großteil der Menschen unerreichbar sind. Laut einer Umfrage des Marktforschungsinstituts GfK aus dem Jahr 2016 sparen über 40 % der Deutschen weniger als 100 € im Monat und nur etwa 1 % verfügen laut einer anderen Studie über ein Vermögen von 500.000 € oder mehr. So schön sich private Altersvorsorge auch anhört, woher das Geld dafür nehmen?

Altersvorsorge ist keine Frage des Anlageproduktes

Auch ich habe für diese riesige Herausforderung unserer Gesellschaft natürlich keine vernünftige Lösung parat, möchte mit dieser Kolumne aber ohnehin nicht den schlauen Professor spielen, sondern ein wenig für das Problem sensibilisieren. So werde ich immer wieder gefragt, mit welchem Anlageprodukt man denn nun am besten Altersvorsorge betreibt. Dabei ist Altersvorsorge für mich keine Frage des Anlageproduktes, sondern eher eine der richtigen Strategie. Teure Produkte wie Lebens- und Rentenversicherungen sowie aktive Aktienfonds sollte man natürlich vermeiden, weil schon heute aufgrund der Gebühren klar ist, dass diese einen signifikanten Teil des gesparten Vermögens auffressen werden. Doch darüber hinaus ist aus meiner Sicht zweitrangig, ob Sie nun in günstige ETFs investieren, alles aufs Tagesgeldkonto schieben oder den Bausparvertrag bevorzugen.

Für diese Aussage werden mich viele Finanzblogger und Anlageberater wahrscheinlich kritisieren, aber ich bin davon überzeugt, dass es wichtiger ist, überhaupt zu sparen und vor allem die eigene Erwerbskraft zu steigern und zu erhalten. Wenn Sie es nicht schaffen, über Jahrzehnte hinweg Einkommen aus Arbeitskraft zu generieren und dieses idealerweise sogar zu steigern, dann wird Sie kein Riester-Vertrag, keine Lebensversicherung und kein ETF retten. Fördermodelle wie Vermögenswirksame Leistungen, Riester und Rürup bringen vielleicht hier und da ein wenig Förderung, sind aber aufgrund hoher Gebühren und Provisionen oft nicht ohne Kritik. Zudem stellt sich die Frage, wie viel unser Geld selbst nach erfolgreicher Vermehrung in einigen Jahrzehnten noch an Kaufkraft wert sein wird. Ich selbst habe trotz meines noch jungen Alters bereits zwei Währungsumstellungen hinter mir. Wollen Sie wetten, dass es den Euro in 40 Jahren noch gibt?

Wir reden bei der Altersvorsorge über extrem lange Zeiträume, in denen viel passieren kann. Kontrolle haben Sie dabei faktisch nur über sich selbst. Ob unser Geld durch Inflation entwertet oder über Nacht für wertlos erklärt wird, können Sie nicht beeinflussen. Ob die Börsen in 40 Jahren höher stehen als heute, weiß auch niemand. Japan ist mit seinem Aktienindex ein mahnendes Beispiel dafür, denn dieser hat sein Allzeithoch von 1990 bis heute nicht wieder erreicht. In einem unsicheren Umfeld fokussiert man sich am besten auf das, was man selbst beeinflussen kann: Ihre Arbeitskraft! Eine Gehaltserhöhung von netto 100 € pro Monat steigert Ihr Vermögen um 1.200 € pro Jahr. Um diesen Betrag durch die Geldanlage mit einem Festgeldkonto zu 1 % nach Steuern zu erwirtschaften, müssten Sie schon 160.000 € angelegt haben. Die Gehaltserhöhung wirkt da mit einer Weiterbildung und zusätzlichem Engagement fast schon einfacher zu erreichen.

Komplexe Probleme kennen keine einfachen Lösungen

Gerne würde ich Ihnen an dieser Stelle noch eine konkrete Empfehlung im Sinne von “Investieren Sie für Ihre Altersvorsorge in das Anlageprodukt X!” mitgeben, doch das fällt mir schwer. Ich persönlich bin ein großer Freund von schnell verfügbarer Liquidität (z. B. Tagesgeldkonto), weil es eine einfache Anlage ist und Sie frei, mobil und handlungsfähig macht. Doch auch das hat seine Tücken. Ohnehin ist es besser, nicht alles auf eine Karte zu setzen, um ungünstige Entwicklungen abfedern zu können. Aktien und ETFs haben sicherlich ihre Berechtigung, aber auch da würde ich es nach dem alten Motto halten: “Kann funktionieren, muss aber nicht!” (siehe unser Artikel zum Thema). Kombiprodukte wie das von fairr.de mit Riester-Förderung sind sicherlich nicht schlecht, aber auch nicht der Weisheit letzter Schluss. Am Ende macht es die Mischung!

Wenn ich Sie mit diesem Artikel ein wenig für das Problem sensibilisiert habe, ist aus meiner Sicht schon viel erreicht. Meiner Erfahrung nach unterschätzen die meisten Anleger die Dimension der Herausforderung Altersvorsorge. Bedenken Sie stets, dass Sie heute die Weichen für Ihre Vermögenssituation in 20, 30 oder 40 Jahren stellen, z. B. mit einer guten Aus- oder Weiterbildung. Eine zu geringe Altersvorsorge in späten Jahren noch zu korrigieren, ist gar nicht oder nur noch mit sehr hohem Anlagerisiko möglich, was dann auch im Totalverlust enden kann. Den sollte man um jeden Preis vermeiden.

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Kommentar von ulf am 03.01.2022 - 12:52 Uhr

"Dabei ist Altersvorsorge für mich keine Frage des Anlageproduktes, sondern eher eine der richtigen Strategie."
Das stimmt aber nur dann, wenn Sie geeignete Kinder oder sonstige jüngere unterstützende Menschen um sich haben. Oder glauben Sie wirklich, dass Sie bei beginnender Demenz im Altersheim immer noch mit Ihren Tagesgeldern, Aktien oder noch komplexeren Finanzprodukten hin und her jonglieren können werden?
Genau aus dieser Überlegung heraus habe ich mich, für einen erheblichen Teil meiner Altersversorgung, für den Kauf einer lebenslangen, garantiert nicht fallenden fondsbasierten privaten Rentenversicherung entschieden. Durchaus in dem Wissen, dass diese Lösung von vielen Anlageberatern als teuer beurteilt wird.

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